Wie SARS-CoV-2 das Nervensystem schädigt COVID-19 schädigt nicht nur die Atemwege. Die Erkrankung und die damit verbundene Immunreaktion können auch Schäden in Gehirn und Nervenbahnen verursachen. Dazu gibt es erste Studien. Ein Überblick über die wichtigsten bisherigen Erkenntnisse. Von Volkart Wildermuth Hören Sie unsere Beiträge in der Dlf Audiothek Zum Teil ist es der Körper selbst, der bei seiner Reaktion auf SARS-CoV-2 Nervenschäden verursacht SARS-CoV-2 ist ein Atemwegserreger. Deshalb standen anfangs vor allem Beatmungsgeräte im Fokus der Ärzte und der Berichterstattung. Doch inzwischen ist klar: Dieses Virus schädigt neben der Lunge auch viele andere Organe im Körper – vor allem auch weil es die Adern angreift und zu Blutgerinnseln führen kann. Ein Organ, das ganz besonders auf die ständige Versorgung mit frischem Blut und Sauerstoff angewiesen ist, ist das Gehirn. Kein Wunder, dass viele COVID-19-Patienten auch mit neurologischen Problemen zu kämpfen haben. Die Ärzte sprechen mittlerweile sogar von Neuro-COVID. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie war das ein wichtiges Thema. Wie häufig sind neurologische Probleme bei COVID-19-Patienten? Ein neurologisches Symptom scheint für eine Infektion mit SARS-CoV-2 typisch zu sein: die Beeinträchtigung von Riech- und Geschmackssinn. Das ist ein wichtiger Hinweis für die Diagnose. Wenn es länger anhält, auch über die akute Infektionsphase hinaus, dann ist das sehr belastend. Meist kehrt der Geruchssinn aber zurück. Forscher der Harvard Universität vermuten, das könnte daran liegen, dass SARS-CoV-2, anders als andere Viren, nicht die Geruchsnerven selbst schädigt, sondern wahrscheinlich eher deren Hilfszellen – und die können sich regenerieren. Neben dem Verlust des Geruchssinns können weitere neurologische Symptome bei COVID-19 auftreten. Im Oktober haben Ärzte aus Chicago ihre Erfahrungen mit über 500 Patienten veröffentlicht. Sie beobachten bei vier von fünf Patienten Symptome wie Kopfschmerzen oder Schwindel. Diese gehen letztlich auf Probleme im Gehirn zurück. Allerdings sind diese Symptome ziemlich unspezifisch. Kopfschmerzen wird man bei vielen Patienten im Krankenhaus beobachten können. Außerdem gibt es schwere Komplikationen wie Schlaganfälle, epileptische Anfälle, Lähmungen und Verwirrtheit. In New York hat man von März bis Mai 4.500 COVID-19 Patienten begleitet und bei 13,5 Prozent von ihnen solche schweren neurologischen Symptome festgestellt. Wenn diese Probleme auftraten, hat das die Prognose der Patienten verschlechtert: Sie starben rund 30 Prozent häufiger, als Patienten ohne neurologische Symptome. Sorgt SARS-CoV-2 direkt für Probleme im Gehirn? Wahrscheinlich nicht direkt. Neuropathologen aus Hamburg haben in diesem Zusammenhang Gehirne von 40 verstorbenen COVID-19 Patienten untersucht und das Virus in jedem zweiten Gehirn nachweisen können – vor allem im Hirnstamm, wo Nerven aus dem Körper ankommen. Tatsächlich konnten andere Ärzte an einer Patientin im MRT beobachten, wie sich im Lauf der Infektion Veränderungen entlang des Riechnervs von der Nase Richtung Gehirn ausbreiteten. Aber – und das ist entscheidend – die Neuropathologen konnten keinerlei Zusammenhang zwischen der Schwere der neurologischen Symptome und der Virenmenge im Gehirn feststellen. Das deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 vielleicht gelegentlich auch direkt im Gehirn Nerven zerstört, aber das scheint nicht die Hauptursache der Probleme zu sein. Wie läuft eine Nervenschädigung durch COVID-19 ab? SARS-CoV-2 löst Reaktionen im Körper aus, die ihrerseits schädlich sind. Bei manchen COVID-19-Patienten macht das Immunsystem einfach weiter, selbst wenn das Virus bereits verschwunden ist. Botenstoffe und überaktive Immunzellen führen dann zu den eigentlichen Schädigungen in der Lunge, in den Gefäßen und eben auch im Gehirn. Man sieht dann, dass die Mikrogliazellen – so etwas wie das Immunsystem im Gehirn – auch überaktiv sind. An der Charité in Berlin hat man auch die Antikörper von COVID-19-Patienten untersucht und festgestellt, dass es gelegentlich welche gibt, die tatsächlich auf Strukturen im Gehirn regieren. Auch das könnte Nerven schädigen. Generell scheint eine Infektion mit SARS-CoV-2 in der Lage zu sein, eine Neigung zu Autoimmunkrankheiten zum Ausbruch zu bringen. Man hat beobachtet, dass Patienten den Diabetes Typ 1 entwickeln – dabei greifen Antikörper die Bauchspeicheldrüse an. Oder das Guillain-Barré-Syndrom, das von Lähmungen aufgrund von Nervenentzündungen gekennzeichnet ist und häufiger in Zusammenhang mit COVID-19 beobachtet wird. Dazu kommt noch ein weiterer Mechanismus der Schädigung: Häufig entstehen bei COVID-19 kleine Blutgerinnsel. Die können Gefäße im Gehirn verstopfen und so kleine und auch größere Schlaganfälle auslösen. Unterm Strich ist es also wahrscheinlich weniger das Virus selbst, das für Probleme im Gehirn sorgt, sondern indirekte Schadensprozesse. Diese laufen im ganzen Körper ab, aber auf die das Gehirn besonders empfindlich reagiert. Das erklärt zum Teil auch die schlechtere Prognose beim Auftreten von schweren neurologischen Symptomen: Die sind einerseits selbst eine Herausforderung für Patient und Arzt, aber auch ein Anzeichen dafür, dass die Krankheit weit fortgeschritten ist. Grafik: Die Entwicklung in Deutschland – eine Chronik (Deutschlandradio / Andrea Kampmann) (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)Was die Neuinfektionen für die kommenden Wochen bedeuten Die Corona-Situation ist im Fluss, doch wohin? Zahlen bieten Orientierung, aber sie verwirren auch. Ein Wert alleine wird der Dynamik nicht gerecht. Deshalb hier ein Überblick über Zahlen und Trends – für Deutschland und die Welt. Was können die Ärzte dagegen tun? Wichtig ist es für Intensivmediziner, nicht nur Lunge und Nieren, sondern auch das Gehirn im Blick zu haben. Es gibt bereits eine erste Leitlinie „Neurologische Manifestationen bei COVID-19“, die das Wichtigste zusammenfasst. Im Grunde geht es darum, neurologische Probleme schnell zu erkennen und dann die Symptome zu behandeln. Bei dem bereits erwähnten Guillain-Barré-Syndrom wird zum Beispiel die Gabe von Antikörper-Präparaten empfohlen. Für die Neurologen war auch wichtig, dass viele Medikamente für neurologische Krankheiten, also etwa für eine Multiple Sklerose, das Immunsystem dämpfen und daher wahrscheinlich von Vorteil bei einer SARS-CoV-2-Infektion sind. Wer an einer neurologischen Krankheit leidet, sollte seine Medikamente deshalb weiternehmen. Und wer Anzeichen für einen Schlaganfall bemerkt, Lähmungen, Sprachstörungen, der gehört unbedingt in die Notaufnahme – Corona-Epidemie hin oder her. Im Frühjahr hat man nämlich in vielen Ländern beobachtet, dass Menschen sich nicht in die Klinik getraut haben. Das hat die Folgen von Schlaganfällen verschlimmert, weil nicht schnell behandelt werden konnte. Hat auch „Long COVID“ eine neurologische Dimension? In jedem Fall. Ein Kennzeichen ist eine umfassende Erschöpfung (Fatigue), die setzt nicht nur in den Muskeln an, sondern auch im Gehirn. Viele der Long-Covid-Patienten berichten zum Beispiel von Müdigkeit und Konzentrationsstörungen, von einem geistigen Nebel, der das Denken schwer macht. Bei einem Online-Intelligenztest haben Forscher des Imperial College London herausgefunden, dass Menschen nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion im Durchschnitt schlechter abschneiden, als Vergleichspersonen im gleichen Alter und Beruf. Der Artikel ist noch nicht begutachtet, und Online-Umfragen haben nur einen begrenzten Aussagewert – aber es scheint doch so zu sein, dass sich die Schäden am Gehirn zumindest bei einigen Personen nicht so schnell zurückbilden. Wie lange dauert es im Durchschnitt, bis sich Erkrankte vollständig von einer Corona-Infektion erholt haben? Clemens Wendtner im Gespräch mit Christian Floto Unsere Erfahrung ist, dass es durchaus Wochen, sogar Monate dauern kann. Das hängt immer davon ab, über welche Langzeitfolgen wir sprechen. Die sind laut Studienlage durchaus auch sehr häufig: 35 bis 85 Prozent der COVID-Patienten entwickeln auch Langzeitfolgen, die von der Lunge ausgehen, aber auch das Herz betreffen können. Geruchs- und Geschmacksstörungen sind nicht zu vergessen, aber auch weitere Symptome, die schwer zu greifen sind. „Brain Fog“ ist ein Begriff im englischsprachigen Raum. Die Patienten sind ein bisschen vernebelt, aber auch Depressionen können auftreten. Welche Langzeitfolgen treten am häufigsten auf? Von der Statistik her am häufigsten ist ein Erschöpfungszustand, also eine Art Fatigue, oft verbunden mit einer mangelnden Belastbarkeit im Alltag. Die zweite Langzeitfolge sind Einschränkungen der Lungenfunktion, also Kurzatmigkeit insbesondere bei Belastung. Deutet der Erschöpfungszustand auf eine Beteiligung des zentralen Nervensystems bei einer COVID-19-Erkrankung hin? Es gibt erste Hinweise, dass es wohl auch eine direkte Beteiligung geben könnte, also die Blut-Hirn-Schranke durch die Viren überwunden werden kann. Man kann Veränderungen im Hirngewebe nachweisen. Man weiß auch über den Geruchsnerv, dass es eine sehr direkte „Autobahn“ in das Gehirn gibt. Aber es gibt auch andere Hinweise, dass natürlich auch die Entzündungsreaktionen, die den gesamten Körper betrifft, auch natürlich Hirnzellen mit betreffen kann und damit eben auch Störungen, die vielleicht außerhalb der Somatik liegen- psychische Störungen, die ein organisches Korrelat haben könnten. Wie lange dauern solche Langzeitfolgen an? Wann können sie verschwinden? Es gibt Hinweise, dass sich Patienten natürlich auch vollständig wieder erholen und auch in den Arbeitsprozess wieder zurückkehren können. Aber man muss ein Augenmerk auf die Patienten haben, bei denen es eben auch chronisch wird. Wir sprechen davon, wenn Symptome mehr als zwölf Wochen bestehen bleiben, dass es eine Chronifizierung geben kann. Und das sind die Patienten, die wir dann natürlich besonders in den Fokus nehmen sollten von ärztlicher Seite aus. Großaufnahme eines Glases mit Virenkulturen, auf die ein möglicher Impfstoff gespritzt wird. (imago/Science Photo Library) (imago/Science Photo Library)Covid-19-Impfstoff – Der Stand der Forschung und das zähe Ringen um die Verteilung Die Entwicklung der Impfstoffe gegen COVID-19 geht mit Turboantrieb voran. Erste Zulassungen hat es in China und Russland schon gegeben, in den USA hofft Präsident Trump auf einen Impfstoff vor der Wahl im November. Die Diskussion, wer wann welchen Impfstoff bekommt, läuft auf Hochtouren. In ersten Studien hieß es, dass jeder zweite Patient nach vier Wochen noch über mindestens zwei relevante Beschwerden klagt. Stimmt diese Beobachtung noch? Wir sehen doch nach vier Wochen sogenannte post-akute Beschwerden. Das heißt noch nicht, dass alle Patienten chronische Beschwerden entwickeln. Das trifft definitionsgemäß erst nach drei Monaten zu. Es gibt auch eine interessante Studie bei sehr fitten Athleten, wo 46 Prozent dieser Athleten auch Herzmuskelentzündungen, also eine Myokarditis aufwiesen. Man würde das den Patienten nicht unbedingt ansehen, aber das muss alles auch weiter beobachtet werden, um dann Schlüsse zu ziehen. Ein Forscher hat kürzlich in einer Tageszeitung seine COVID-19-Erkrankung beschrieben und die Zeit danach. An einem Tag habe er Bäume ausreißen, am nächsten Tag wieder nur im Bett liegen können. Was hat es mit solchen Phänomenen auf sich? Auch schwankende Stimmungen sind bekannt. Man sollte das auch ernst nehmen. Ganz wichtig sind Psychotherapien, Gesprächstherapien für diese Patienten. Es gibt hier in Bayern auch die Aktion „Bitte stör mich“ vom Gesundheitsministerium. Das heißt, man soll sich sehr bewusst auch im häuslichen Umfeld, im Freundeskreis um diese Patientinnen kümmern. Nicht nur alles an professionelle Stellen delegieren und schauen, wie es den Leuten geht und auch schauen, dass aus so einer Stimmungsschwankung nicht doch mehr entsteht wie eine Depression oder eine Angststörung. Sie haben jeden Tag mit COVID-19 Patienten zu tun. Wie schätzen Sie die Erkrankung von US-Präsident Donald Trump ein? Wenn man sich an den offiziellen Bulletins der US-Ärzte orientiert, kann man sehen, dass der amerikanische Präsident schon ein symptomatischer Patient war mit Sauerstoffsättigungseinbrüchen und entsprechend auch intensiver behandelt wurde. Er hat Remdesivir bekommen und sogar Dexamethason erhalten. Remdesivir ist eine Therapie, wenn ein Patient symptomatisch ist, Sauerstoffeinbrüche hat und Lungenveränderungen im CT nachgewiesen wurden. Ist das die Indikationsstellung, würden wir das auch verschreiben. Dexamethason ist eher eine Substanz, die wir in der Spätphase unserem Patienten verordnen würden, wenn das Virus nicht mehr im Vordergrund steht, sondern die Entzündung wieder eingefangen werden müsste. Deutschlandfunk 06.11.2020